10 Jahre Magdeburger Erklärung

Im Oktober, am 17. und 18. Oktober 2019 jährt sich zum 10. Male die Veröffentlichung unserer

Magdeburger Erklärung.

Im Herbst des Jahres 2009 machten sich einige Kameraden der damals gerade ins Leben gerufenen „Interessengemeinschaft Fallschirmjäger“, die als Alternative zu einer bis dahin bereits existierenden Vereinigung von Fallschirmjägern der NVA gedacht war, auf den Weg, eine öffentliche Bestimmung der Position ehemaliger Fallschirmjäger der NVA im geeinten Deutschland vorzunehmen.

Damit waren die Teilnehmer dieser Diskussion, mit der Avantgarde der IG-Fallschirmjäger, die ersten ehemaligen NVA-Angehörigen, die in so einer konkreten Form öffentlich auftraten. Seit dem Jahr 2009 sind 10 Jahre vergangen, aber unsere Themen sind heute genauso aktuell wie damals.

Der zentrale Mittelpunkt unserer Erklärung, die Frage der verpflichtenden Traditionen, bildet mit den drei Säulen bis heute den Schwerpunkt unserer Arbeit.

Die damalige „Interessengemeinschaft Fallschirmjäger“ ging folgerichtig den Weg der Annäherung an den „Bund Deutscher Fallschirmjäger“ (BDF). Wir sind der Auffassung, das die Bewahrung der Historie der Fallschirmjäger der NVA nur im Kontext der Geschichte der deutschen Fallschirmjäger insgesamt bewahrt und vermittelt werden kann.

Die IG-Fallschirmjäger finden wir heute im Kameradenkreis Fallschirmjägerbataillon/Luftsturmregiment – 40  „Carl von Clausewitz“ im Bund Deutscher Fallschirmjäger e.V. wieder

Die Fallschirmjäger der NVA waren und sind Teil der Deutschen Militärgeschichte.

 

Klaus Dieter Krug
Oberstleutnant Dipl.- Mil a.D. NVA

 

 

 

Magdeburger Erklärung

Fallschirmjäger der NVA 20 Jahre nach dem Zusammenschluss

Die DDR war im Jahre 1990 von 136 Staaten weltweit anerkannt. Zu Ihrem Schutze und im Rahmen der Bündnisverpflichtungen gab es die Nationale Volksarmee, von der wir, die Fallschirmjäger, ein Teil waren.

Ca. 9.000 Soldaten aller Dienstgradgruppen wurden aus der NVA in die Bundeswehr übernommen und bilden somit einen verschwindend geringen Teil des Personalbestandes der Bundeswehr. Etwa ebenso viele Fallschirmjäger gab es in den Jahren des Bestehens des Fallschirmjägertruppenteils in der NVA.

Die Interessengemeinschaft der Fallschirmjäger der NVA hat am Wochenende des 17./18. Oktober 2009, gemeinsam mit Parteien (DIE LINKE) und Soldatenverbänden (BDF, DBwV) aus dem Land Sachsen-Anhalt sowie ehemaligen Fallschirmjägern der Bundeswehr, unseren jetzigen Platz in der Gesellschaft unter Berücksichtigung unseres Lebens als NVA-Angehörige und der Traditionen der NVA, in Form einer Diskussion hinsichtlich Gemeinsamkeiten mit der Bundeswehr, aber auch hinsichtlich Fehlern in unseren ehemaligen militärischen Traditionen in der DDR erörtert.

Die ZDV 10/1, Vorbemerkungen, Punkt 5., erklärt die deutsche Wehrmacht, aber auch die NVA als „nicht traditionswürdig“.

Daran wird sich nichts ändern, solange man die DDR undifferenziert als Unrechtsstaat sowie Diktatur bezeichnet und mit der Nazi-Diktatur gleichsetzt. Wir nehmen jedoch für uns in Anspruch, dass die Masse der Soldaten aller Dienstgradgruppen in der NVA und somit auch wir als Fallschirmjäger dieser Armee, nach Treu und Glauben an eine gerechte Sache als Soldaten ihre Pflicht erfüllt haben.

Zu Traditionsfragen

Uns ist klar, dass Traditionsaufarbeitung ein Prozess werteorientierter Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist. Dem wollen wir uns stellen.

Unser Ziel ist es, als Fallschirmjäger und Soldaten der NVA unseren Platz in dieser Gesellschaft, dieser Republik, in der wir arbeiten und leben und deren Gesetze wir anerkennen, zu bestimmen.

Durch die Darstellung unserer heutigen Auffassung zu unseren Traditionen als Soldaten der NVA suchen wir nach einer angemessenen Akzeptanz unseres NVA-Dienstes in der heutigen Zeit.

Wir sehen drei Traditionslinien:

  1. Die preußischen Heeresreformer aus den Jahren 1813 und folgende.
  2. Den Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus von 1933 bis 1945.
  3. Bewahrenswerte Traditionen aus der Zeit unseres Dienstes in der NVA und sich dabei herausbildende Traditionen in den letzten 20 Jahren unter unseren Kameraden.

Wir sehen unser Traditionsverständnis hauptsächlich in unserem Selbstverständnis als Soldaten einer Armee, die keinen Krieg geführt hat, aber jederzeit bereit und in der Lage war, jedem Gegner die Stirn bieten.

Dazu sind wir bereit, Werte und Normen, denen wir damals verpflichtet waren, auf den Prüfstand zu stellen und zu entscheiden, welche bewahrenswert und welche zu verwerfen sind.

Dabei erkennen wir eine Reihe von Schnittpunkten mit dem Traditionsverständnis der Soldaten der Bundeswehr.

Zu Werten der Konfliktsituation

Die damals gewollte Herausbildung eines „Feindbildes“, gepaart mit der Erziehung zum „Hass“ auf den potentiellen Gegner, war ein Fehler. Insbesondere die Erziehung zum „Hass“ war bei der überwiegenden Mehrheit der Soldaten aller Dienstgradgruppen kaum erfolgreich und somit außerhalb einer kriegerischen Situation nicht vorhanden.

Das bewiesen die schweren Loyalitätskonflikte unserer Soldaten, die sich herausbildeten, als die Fallschirmjäger der NVA im Zeitraum vom 14.-17.10.1989 in Leipzig gegen das eigene Volk handeln sollten.

Vom Fallschirmjäger im Soldatendienstgrad über die kommandierenden Offiziere bis hin zum befehlshabenden General demonstrierten die Soldaten der NVA damals, dass sie eine „Armee aus dem Volke“ sind. Kein Soldat der NVA stellte sich gegen die Bürger der DDR, die eine politische Wende herbeiführen wollten.

Damit stehen die Soldaten der NVA in bester deutscher Soldatentradition wie einst die Soldaten der Feste Rastatt im Jahre 1848, die sich weigerten, auf deutsche Soldaten zu schießen.

Zum Vorwurf der Staatsnähe und der Parteiarmee

Jedes stehende Heer ist staatsnah, da die Soldaten den Primat der Politik des Staates und dessen Volkes anzuerkennen haben.

Der Vorwurf, „… ein Parteisoldat in einer Parteiarmee gewesen zu sein…“, kann nicht pauschal für alle Soldaten der NVA und damit auch nicht für jeden Fallschirmjäger gelten. Bei einer Wehrpflicht ist diese Verallgemeinerung sowieso unzulässig, da gerade die Wehrpflichtigen ihren Dienst zwar ehrenvoll versahen, aber eben nicht freiwillig.

Geboren im Staat DDR, dort aufgewachsen und sozialisiert, überzeugt, einer guten Sache zu dienen, waren die Motive der Soldaten und somit auch der Fallschirmjäger so unterschiedlich, wie sie es nur hätten sein können.

Soldat in der NVA zu werden, hatte bei den wenigsten Soldaten etwas mit politischen Beweggründen zu tun. Die Verteidigungsnotwendigkeit der DDR wurde aber allgemein anerkannt.

Eine innere politische Überzeugung setzte gerade bei den Berufssoldaten auch erst mit fortschreitender Reife ein.

Wesen und notwendiges Scheitern des Staatssozialismus war für die Mehrheit der Soldaten erst im Verlaufe der Geschichte erkennbar. Auch verweisen wir hier auf ähnliche Entwicklungen in der deutschen Militärgeschichte, wo Soldaten in der Lage waren, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen, zu bewerten und Erkenntnisse in konkrete Handlungen umsetzten , die alleine dem Wohle ihres Volkes dienten.

Die Teilnehmer der Diskussion kamen zu der Überzeugung, dass sich die Fallschirmjäger, wie die meisten Soldaten der NVA, ihrer Biographie nicht zu schämen brauchen. Sie sind heute Bürger dieses Landes, arbeiten und leben hier auf dem Boden des Grundgesetzes. Als ehemalige Soldaten wissen sie um die Bedeutung von Loyalität des Bürgers in einer demokratischen Gesellschaft und leben diese.

Sie erwarten nicht von der Bundeswehr, die NVA pauschal zu tradieren. Aber die soldatischen Leistungen und Tugenden, die in einer langen Periode des kalten Krieges zwischen den Blöcken den Frieden erhalten haben, wollen sie gewürdigt wissen, wie das auch mit den Soldaten der Bundeswehr geschieht.

Die NVA und damit auch das Fallschirmjägertruppenteil war und ist Teil der deutschen Militärgeschichte, wenn auch nur in einer historisch gesehen kurzen Zeitspanne. Reichswehr und Wehrmacht zum Beispiel belegten noch kürzere Zeiten in der Militärhistorie.

Gleichwohl nehmen die ehemaligen Fallschirmjäger der NVA das Recht in Anspruch, als gleichwertige Soldaten vor der deutschen Militärgeschichte, durch den Staat in dem sie jetzt leben und arbeiten, anerkannt zu werden.

Dazu möchten wir die Parteien und Soldatenverbände unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland, zu einer sachlichen Diskussion unseres Anliegens bitten.

Die Teilnehmer der Diskussion von Magdeburg:

Michel Schauch – Gefreiter a.D.
Bernd Oberdörfer – Stabsgefreiter a.D.
Matthias Hoferichter – Stabsgefreiter a.D.
Matthias Köcher – Oberfähnrich a.D.
Jörg Kuhnt – Major a.D.
Dr. Peter Gütter – Stabsgefreiter a.D.
Horst Prellwitz – Stabsgefreiter a.D.
Jörg Dittrich – Stabsgefreiter a.D.
Klaus-Dieter Krug- Oberstleutnant a.D.

Magdeburg, Oktober 2009

Magdeburger Erklärung